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Fluchten an der Bernauer Straße – von Maulwürfen, Fensterspringern und unechten Schornsteinfegern

Fluchten an der Bernauer Straße – von Maulwürfen, Fensterspringern und unechten Schornsteinfegern

In den 28 Jahren, in denen die Mauer stand, gelang es mehr als 5000 Menschen in und um Berlin in den Westen zu flüchten. Dabei nutzten die Menschen die spektakulärsten Wege für ihre Flucht – es ging über die Mauer hinüber, unter ihr hindurch, es wurde durch die Spree geschwommen und sogar die Kanalisation genutzt. Wie viele Fluchten dabei gescheitert sind, ist nicht genau bekannt. Sofort am Tag des Mauerbaus, dem 13. August 1961, begannen die ersten Fluchtaktionen.

 

Fluchten an der Bernauer Straße und die Gedenkstätte

Die Bernauer Straße sollte bei der Schließung der Grenzen 1961 eine ganz besondere Rolle einnehmen. Nicht umsonst ist genau hier heute die Gedenkstätte Berliner Mauer, die die Geschehnisse der damaligen Zeit veranschaulicht.

Die Besonderheit ist hier, dass die Wohnhäuser der Bernauer Straße auf DDR-Gebiet lagen, die Bürgersteige vor den Häusern aber bereits im Westen. Als am 13. August 1961 nun die Grenze zwischen Ost und West-Berlin komplett geschlossen wurde, nutzten viele Anwohner der Bernauer Straße in Panik die letzte Chance zur Flucht. Sie sprangen aus ihren Fenstern oder Salben sich aus den oberen Stockwerken ab. Die Westberliner Feuerwehr versuchte zu helfen wo es ging und stand mit Sprungtüchern bereit.

Heute erinnern noch viele Ereignismarken auf dem Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer an die unterschiedlichen Fluchten. Nicht alle davon beglückten auch, einige verfehlten leider das Sprungtuch. So kam es hier auch am 22.08.1961 zur ersten Mauertoten der DDR Grenze, als Ida Siekmann aus dem 3. Stock sprang und das Sprungtuch verfehlte.

Doch viele dieser Fluchtversuche glückten auch. So wie am 5. September 1961. An diesem Tag flüchtete Karl-Heinz S.  mit zwei weiteren Personen und einem Kind och vor dem Morgengrauen durch ein Fenster seiner Wohnung in der Ackerstraße 43. Und er hatte dabei sogar Unterstützung von der Westberliner Polizei. Diese blendete die Grenzpolizisten der DDR mit Spiegeln und die Feuerwehr stellte eine Leiter an die Hauswand, über die die Flüchtlinge sicher hinabklettern konnten.

Die Bilder der Flucht der 77-jährigen Frieda Schulze ging ebenfalls um die Welt. Sie wollte aus ihrer Wohnung im ersten Stock der Bernauer Straße 29 flüchten. Die Westberliner Polizei hatte schon das Sprungtuch unter ihrem Fenster aufgespannt und Frieda Schulze ließ kleinere Habseligkeiten und ihre Katze hinab. Dann kletterte sie selbst auf den Fenstersims, traute sich aber nicht hierunter zu springen. In der Zwischenzeit hatten die DDR Grenzer aber schon ihre Wohnungstür aufgebrochen und wollten Frieda Schulze am Arm wieder auf die Ostseite zurückziehen. Zwei Westberliner Jugendliche kletterten an der Fassade hoch und versuchten ihr zu helfen. Das glückte auch schließlich und Frieda Schulze fiel in das Sprungtuch. Heute erinnert die Ereignismarke D412 an der Gedenkstätte Bernauer Straße an diese Flucht.

Auch viele Menschen, die beruflich in die Nähe des Grenzstreifens an der Bernauer Straße geschickt wurden, nutzten die Gelegenheit zur Flucht: so flüchtete die Sekretärin einer Wohnungsbaugesellschaft während der Begehung, ein Maurer sprang aus dem Fenster welches er eigentlich zumauern sollte und selbst Grenzsoldaten nutzten günstige Gelegenheiten um in den „goldenen Westen“ zu gelangen.

Um die vielen Fluchten zukünftig zu vermeiden, wurden zunächst die Fenster zur Westseite der Stadt in den Gebäuden der Bernauer Straße zugemauert, später wurden dann alle der rund 2000 Anwohner zwangsumgesiedelt und fast alle Gebäude abgerissen.

Die Fassaden der Gebäude an der Bernauer Straße ließ man stehen und nutzte sie als Grenzmauer.

In den achtziger Jahren folgte der Ausbau des Grenzstreifens. 80 m war der Todesstreifen damals breit, dahinter befand sich die sogenannte Hinterlandmauer. Zahlreiche Grenzwachtürme ermöglichten den Grenzern freie Sicht und freies Schussfeld. Außerdem gab es auch einen Postweg auf dem die Grenzer patrouillierten und einen Signalzaun, der sofort Alarm schlug sobald er berührt wurde. Eine zweite Betonmauer grenzte den Todesstreifen zum Westen hin ab.

Mit den immer ausgeklügelteren Grenzsperren wurden auch die Fluchten immer spektakulärer. In den Tagen direkt nach der Grenzschließung im August 61 sprangen die Leute direkt aus ihrem Wohnzimmerfenster in den Westen, danach versuchte man mit gefälschten Pässen nach Westberlin zu gelangen und als dies auch nicht mehr funktionierte versuchte man es unterirdisch über die Kanalisation oder über selbst gegrabene Tunnel.

Im Schichtsystem unter der Berlin Mauer hindurch – Tunnel in der Bernauer Straße

Zwei der wohl spektakulärsten Fluchttunnel in der Geschichte der Berliner Mauer befanden sich ebenfalls hier an der Bernauer Straße. Die Tunnel wurden damals nach der Anzahl der geflüchteten benannt. Der Tunnel 29 hatte seinen Einstieg auf dem Fabrikgelände in der Bernauer Straße 78 und führte unter der Mauer hindurch zu einem Keller in der Schönholzerstraße 7. Studenten der FU Berlin begannen hier im Sommer 1962 den insgesamt zwischen 120 und 140 m langen Tunnel zu graben. Sie arbeiteten dabei im Schichtsystem und blieben auch während ihrer Ruhezeiten in den Tunneln um keinen Verdacht zu erwecken.  Nach ca. 10 Tagen wechselte das Team dann, denn die Arbeit war sehr kräftezehrend. Viele der fleißigen Helfer wollten eigene Familienangehörige oder Freunde in den Westen holen.

Am 14. und 15. September 1962 gelang dann insgesamt 29 Flüchtlingen der Weg nach Westberlin. Meist kamen Frauen und Kinder durch Tunnel, da es für sie fast die einzige halbwegs sichere Möglichkeit war in den Westen zu gelangen. Kleine Kinder würden es in einem kleinen beengten Versteck in einem Auto nicht lange ruhig aushalten und auch bei der Passkontrolle an der Grenze vielleicht ihren eigentlichen Namen ausplappern.

Die Fluchthelfergruppe des Tunnel 29 hatte die Filmrechte für den Bau des Tunnels und die Flucht an den amerikanischen Fernsehsender NBC verkauft umso den Tunnel zu finanzieren. Dies führte im Nachhinein auch zu Diskussionen innerhalb des Fluchthelferteams, einige Mitglieder distanzierten sich später vom Führungsteam.

Zwei Jahre später, im April 1964, begannen rund 35 meist Studenten den größten und längsten Fluchttunnel Berlins zu graben. Der Tunnel 57 führte von einer Westberliner Bäckerei in der Bernauer Straße 97 unter der Mauer hindurch bis zu einem Toilettenhäuschen in der Strehlitzer Straße 55. 6 Monate arbeiteten die Studenten an dem ungefähr 145 m langen und 12 m tiefen Tunnel. Er war der längste, tiefste und teuerste Fluchttunnel unter der Berliner Mauer.

Im Oktober 1964 konnten 57 Menschen durch den Tunnel in den Westen gelangen. Dann wurde er von Ostberliner Volkspolizisten entdeckt. Diese gaben sich daraufhin auch als Flüchtlinge aus, die noch einen weiteren Freund hinzuholen wollten. Statt des Freundes kamen sie aber mit mehreren Soldaten zurück und eröffneten eine Schießerei. Dabei wurde der Unteroffizier der Grenztruppen Egon Schulz tödlich von einer Kugel getroffen. Die DDR-Führung nutzte dies für ihre Propaganda und verbreitete die Nachricht vom kaltblütigen Mord an einem DDR Schutzpolizisten. Es wurden Gedenktafeln für Egon Schulz errichtet und sogar Schulen und Straßen nach ihm benannt. Erst nach der Wende kam heraus, dass Egon Schulz nicht durch die Waffen der Tunnelbauer, sondern durch einen Querschläger seiner eigenen Leute gestorben ist.

Auf dem Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer markieren heute Platten auf der Rasenfläche den Weg des unterirdischen Tunnels 57. Von 1962-1971 gab es hier an der Bernauer Straße insgesamt zehn Tunnelprojekte, wovon aber nur drei erfolgreich waren. Die anderen scheiterten entweder aufgrund der schwierigen Baubedingungen oder sie wurden verraten. Die Gedenkstätte Bernauer Straße zeigt euch weitere Informationen zu den Tunnelfluchten und zahlreiche Zeitzeugenberichte.

In Berlin gab es übrigens eine richtige Fluchthelferszene. Das waren Gruppen von Studenten oder auch Menschen, die nahe Angehörige im Ostteil hatten und diese nun in den Westen holen wollten.

An der Freien Universität Berlin gab es sogar ein richtiges Fluchthelferbüro in dem viele Projekte koordiniert wurden.

Kreative Fluchten und weltberühmte Fotos auf dem heutigen Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer

Aber es gab auch sehr kreative Aktionen, die die DDR-Bürger auf eigene Faust durchführten. Am 29. Januar 1962 zum Beispiel verkleidete sich ein junger Mann als Schornsteinfeger und konnte sich so den Grenzhäusern ungehindert nähern. Auf dem Dachboden des Hauses der Bernauer Straße 13 waren die Fenster schon vermauert, aber der junge Mann durchbrach eines der Fenster und ließ sich an seinem Schornsteinfegerseil einfach auf die Bernauer Straße hinab. Natürlich blieb er unverletzt und erst als er schon auf der Straße war entdeckte ein gegenüber postierter Grenzsoldaten die Flucht. Dieser konnte aber nicht mehr viel ausrichten und so wurden am Ende zwei Postenführer deswegen disziplinarische bestraft. Auch diese Flucht wurde in einer Ereignismarke auf der Gedenkstätte Berliner Mauer festgehalten.

Außerdem gab es auch viele Fluchtversuche durch die Kanalisation. Man stieg durch ein Gulli ein und kroch durch die Abwasserkanäle Berlins auf die andere Seite der Stadt. An der Bernauer Straße gab es auch eine solche Fluchtaktion am 4. Oktober 1961. Die zwei Männer, die in der Ackerstraße durch den Abwasserkanal nach Westberlin fliehen wollten waren schon in den Gulli hineingeklettert, als sie dann aber doch von Grenzpolizisten verhaftet wurden.

Auch eines der berühmtesten Fotos einer Flucht von Ost nach West Berlin entstand hier in der Nähe der Bernauer Straße – die Flucht des Grenzsoldaten Conrad Schumann. Dieser meldete sich damals freiwillig für den Dienst in Berlin und bewachte den Bau der Mauer am 15. August 1961 an der Kreuzung Ruppiner Straße/Bernauer Straße. Damals bestand die Absperrung hier noch aus großen Stacheldrahtrollen. Schumann tat so als würde er diese prüfen und ging immer wieder zu den Stacheldrahtrollen, drückte sie mit dem Fuß hinunter und ging wieder zurück. In einem unbeobachteten Moment nutzte er die Gelegenheit und sprang über den Stacheldrahtzaun in den Westteil Berlins. Noch im Sprung streifte er seine Maschinenpistole ab und rannte weiter in ein 10 m entfernt stehendes Westberliner Polizeifahrzeug. Die Polizisten darin hatten Schumann beobachtet und seinen Fluchtversuch schon vorher vermutet. Deshalb ließen sie die Fahrzeugtür offenstehen, was Conrad Schumann zusätzlich zu seinem Fluchtversuch ermutigt hat.

Genau in dem Moment als Conrad Schumann über den Stacheldrahtzaun springt und sich das Gewehr abstreift drückt ein pfiffiger Fotograf auf den Auslöser. Dieses Foto wird zu einem der bekanntesten des kalten Krieges. Das Foto könnt ihr auf der Gedenkstätte Berliner Mauer im Riesenformat auf einer der Hauswände des Außengeländes sehen. Gleich um die Ecke in der Brunnenstraße gibt es außerdem eine Skulptur von Conrad Schumann bei seinem Sprung über den Stacheldraht an der Hauswand.

 

Wo?

Gedenkstätte Berliner Mauer – Bernauer Straße, 10115 Berlin

https://www.stiftung-berliner-mauer.de/de/gedenkstaette-berliner-mauer

 

Ines
ines@berlin-city-game.com

Ich liebe Berlin! Als eine der wenigen waschechten Berliner möchte ich dir meine Stadt zeigen. In Ost-Berlin geboren und aufgewachsen schreibe ich hier nicht nur über die typischen Sehenswürdigkeiten Berlins sondern auch über die Berliner Mauer und vielleicht nicht so offensichtliche aber dennoch spannende Orte in der Stadt. Komm mit auf die Reise nach Berlin und lass uns gern einen Kommentar da!